Stadtrat als Spiegelbild der großen Politik – Geballte Expertise findet kein Gehör

Obgleich das Klimaschutzkonzept der Stadt Alzenau von 2011 eine regelmäßige Evaluierung als Ziel vorgab, brauchte es erst einen grünen Antrag in 2020, dass der Stadtrat sich endlich mal mit dem Stand der Umsetzung beschäftigt. Dass das 2011er Konzept auch die Einstellung einer Klimaschutzmanagerin zur effektiveren Umsetzung empfahl, vermochte die Ratsmehrheit genauso wenig überzeugen, wie ein eindringlicher Apell zu entschlossenem Klimaschutz aus unseren Reihen, die Empfehlungen zahlreicher Expert*innen, darunter der städtische Umweltamtsleiter, und die Unterstützung der anwesenden Grünen Jugend. Ausgerechnet beim Klimaschutzmanagement ist plötzlich jeder ausgegebene Cent einer zu viel. 

Das und mehr im Bericht aus dem Stadtrat vom vergangenen Donnerstag, den 26.11.2020. 

 

Nachdem die Sitzung wie üblich mit dem Bericht des Bürgermeisters begann, wurde die Ernennung städtischer Beauftragter für besondere Aufgaben beschlossen. Sie sollen in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich sowohl Ansprechpartner*in sein, als auch als Repräsentant*in des Stadtrats die Vernetzung zu den gesellschaftlichen Akteur*innen sein.
Über die Besetzung der Positionen hatte es bereits seit der Klausur des Stadtrats im September Beratungen gegeben, mit folgendem Ergebnis.
 
Jugendbeauftragter der Stadt Alzenau ist ab sofort Jonas Müller (JU). Das Amt der Seniorenbeauftragten teilen sich Laura Schön (CSU), die auch Vorsitzende des Seniorenfördervereins ist, und Rolf Ringert (FDP). Behindertenbeauftragte ist Sabina Prittwitz aus unseren Reihen. Unsere Fraktionssprecherin Claudia Neumann übernimmt gemeinsam mit Anni Christ-Dahm (SPD) die Aufgaben der Familienbeauftragten.
 
Zukünftige Nutzung des Grundstücks „Schlosshof 3“
Das betreffende Grundstück neben dem Krankenhaus in Wasserlos wurde vom Landkreis erworben, um dort u.a. Wohnbebauung für Klinikmitarbeiter*innen zu schaffen. Über den Wohnungsbedarf des Klinikums hinaus können weitere geförderte Wohneinheiten als sozialen Wohnraum dort entstehen.
Da die Schaffung von Wohnraum grundsätzlich Aufgabe der Gemeinden ist, wurde hier ein Kooperationsmodell vorgeschlagen, bei dem die Stadt Alzenau 300 000 € Einlage bereitstellt. Der Grundstückspreis betrug 650 000 €.
 
Im Namen unserer Fraktion betonte Stephan Schmauder, dass wir die Schaffung von sozialem Wohnraum und die Nutzung von Synergieeffekten zwischen den Interessen des Landkreises und der Stadt sehr begrüßen. Auch CSU-Fraktionssprecher Grebner erklärte seine Zustimmung, ebenso wie FDP-Fraktionschefin Kaltenhauser, die zugleich anmerkte, man könne sich im Zuge dessen überlegen, auf die geplante Schaffung von Wohnraum über dem Kita-Neubau auf dem Grundstück des ehemaligen Marienheims zu verzichten.
Wolfgang Röder (SPD) merkte noch an, als ehemaliger Chefarzt im Krankenhaus bezweifle er, dass Mitarbeiter*innen auf den Wohnraum zurückgreifen werden. Die SPD begrüße das Projekt dennoch.
Der Beschlussvorschlag fand folglich einstimmige Zustimmung.
 
Gründung einer Aufgabenträgergesellschaft ÖPNV am bayerischen Untermain
Ebenso breite Zustimmung fand die Beteiligung der Stadt Alzenau an der Gründung der sogenannten „AMINA“ (Aschaffenburg Miltenberg Nahverkehrs) GmbH.
Dieter Gerlach erläuterte die Notwendigkeit der Überführung der Aufgabenträgerschaft in eine neue Gesellschaft.
 
Durch die neue Organisationsform lassen sich die Interessen der Gebietskörperschaften, also der Landkreise Aschaffenburg und Miltenberg und der Städte Aschaffenburg und Alzenau, besser verfolgen. Auch Ziele zur Erhöhung der Attraktivität des ÖPNV bei der Tarif- und Fahrplangestaltung oder der Digitalisierung lassen sich so einfacher verwirklichen, als in der bisherigen Organisationsform, der „VAB“, die als Zusammenschluss von Unternehmen stärker betriebswirtschaftlich ausgerichtet ist und damit nicht zwingend das optimale ÖPNV-Angebot anpeilt.
Dieter Gerlach wird zunächst als Gründungsgeschäftsführer fungieren, will sich aber als erste Amtshandlung um eine geeignete Nachfolge bemühen. Die laufenden Kosten werden von den Gesellschaftern anteilig analog zur Einwohner*innenzahl übernommen.
 
Ausdrücklich vorgesehen ist ein Einstieg der bayerischen Eisenbahngesellschaft als Gesellschafterin, um auch den Schienenpersonennahverkehr unter dem Dach der AMINA in einem Gesamtkonzept organisieren können. Aus denselben Überlegungen werden auch Kooperationen mit benachbarten Verkehrsverbünden angestrebt.
 
Wir sind uns mit den anderen Fraktionen einig, dass dies ein wichtiger Schritt zur Erhöhung zu Ausbau und Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs ist und hoffen, dass die Verkehrswende am Untermain ein gutes Stück vorangebracht werden soll.
Unsere Fraktionsvorsitzende Claudia Neumann sprach auch Landrat Alexander Legler in der Sitzung noch einmal ihren Dank für sein Engagement, die Gründung voranzubringen, aus.
 
Streitpunkt Klimaschutz
 
Weniger Einigkeit herrschte leider bei den beiden Tagesordnungspunkten zum Klimaschutz. Wir hatten im September beantragt, über die Umsetzung des dieses Jahr ausgelaufenen Alzenauer Klimaschutzkonzepts von 2011 zu berichten, es fortzuschreiben und die Einstellung eines Klimaschutzmanagers bzw. einer -managerin zu prüfen. Beide Vorschläge wurden nun behandelt.
 
Zum ersten Mal seit 2011 befasste sich der Stadtrat nun also mit dem Stand der Umsetzung des neun Jahre alten Konzepts, regelmäßige Evaluationen, wie im Konzept empfohlen, hatte es nicht gegeben. Umweltsamtleiter Bernd Handlbichler berichtete gemeinsam mit der Leiterin des Bauamts Sylvia Pfannmüller über die Umsetzung der Handlungsempfehlungen. Von den empfohlenen Photovoltaik-Anlagen wurden nur wenige tatsächlich gebaut und diese überwiegend auf Initiative es Solarvereins. Jedoch betonte Handlbichler, dass bei Erstellung des Konzepts nur die Lage des Daches, nicht aber Statik, Tragfähigkeit, u.ä. bewertet wurden, sodass viele vorgeschlagene Plätze gar nicht ohne weiteres für Photovoltaik genutzt werden könnten.
Sylvia Pfannmüller konnte mehr Erfolg vermelden, bei der Senkung des Energieverbrauchs städtischer Liegenschaften durch Sanierung sei man an vielen Stellen gut vorangekommen. Ebenso wurde die Umstellung der städtischen Beleuchtung auf energiesparende LED weitgehend umgesetzt.
 
Der zunächst recht gute Eindruck wurde von unserer Stadträtin Sabina Prittwitz wieder relativiert, als sie aufzählte welche Maßnahmen alle nicht umgesetzt wurden. Insbesondere die allgemeinen Handlungsempfehlungen blieben weitgehend unberührt.
So hat man weder die empfohlene Stelle eines Klimaschutzmanagers geschaffen noch ein regelmäßiges Evaluationssystem. Die Maßnahmen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und Beratung wurden nur sporadisch und zum Teil von ehrenamtlichen Kräften umgesetzt. Auch die regionale und überregionale Vernetzung zum Zweck des Klimaschutzes wurde nicht gezielt angegangen.
Sabina betonte allerdings, dass dieses Versäumnis nicht der Umweltabteilung anzulasten sei, die mit ihren Aufgaben gut ausgelastet ist und dabei gute Arbeit leistet. Vielmehr habe es am politischen Willen gefehlt.
 
Die aggressiven Abwehrreaktionen aus den Reihen der CSU, von deren Stadträten Grebner und Deckert, lassen darauf schließen, dass man sich dort durchaus bewusst ist, den Klimaschutz in Alzenau in den vergangenen Jahren nur stiefmütterlich behandelt zu haben. Man habe doch bereits 1988 die Umweltabteilung gegründet und überhaupt sei viel passiert. Bürgermeister Noll gab immerhin selbst zu, dass man bei der Umsetzung des neuen, aktualisierten Konzeptes, konsequenter sein müsse.
 
Klimaschutzmanagement
 
Eine der Möglichkeiten, aus unserer Sicht die wichtigste, ein solches Konzept richtig umzusetzen, ist die Möglichkeit, diese Aufgabe einer hauptamtlichen Klimaschutzmanager*in zu übertragen. Auch Bernd Handlbichler betonte, dass jedes Konzept nur so gut sei, wie diejenige, die es umsetze, als er im Anschluss die verschiedenen Möglichkeiten der Fortschreibung bzw. Neuerstellung vorstellte. Er selbst und seine Umweltabteilung seien aber zu sehr ausgelastet, um diese wichtige Aufgabe zu übernehmen.
 
Dass kommunale Klimaschutzkonzepte regelrecht mit Fördermitteln überschüttet werden (bis zu 75% bei Neuerstellung), aber nur, wenn zeitgleich ein Klimaschutzmanagement eingeführt wird, verdeutlicht die zentrale Rolle. Nur, wenn der Klimaschutz in einer übergeordneten Stelle im Rathaus angesiedelt wird, ist sichergestellt, dass er in allen Bereichen des kommunalen Handelns konsequent mitgedacht wird, dass die im Klimaschutzkonzept erarbeiteten Maßnahmen umgesetzt werden und auch zukunftsweisende Projekte, beispielsweise bei energetischen Quartierslösungen, angegangen werden.
Wir sind uns da nicht nur mit Umweltsamtleiter Handlbichler einig, auch Ansprechparter*innen von Kommunen, die bereits über ein solches Management verfügen, stimmen dem zu, ebenso Fridays For Future, das Bundesumweltministerium und verschiedene Stiftungen und Verbände in ihren Handlungsempfehlungen zu kommunalem Klimaschutz. Nicht zuletzt stand die Einrichtung eines Klimaschutzmanagements auch, wie erwähnt, im bisherigen Alzenauer Klimaschutzkonzept als Handlungsempfehlung.
 
Stadtratsmehrheit bleibt unvernünftig
Doch die geballte Expertise vermochte die Stadtratsmehrheit ebenso wenig zu überzeugen, wie eine engagierte Rede unseres Stadtrats Tim Höfler, der an die katastrophalen Folgen einer ungebremsten Klimakrise und die kommunale Verantwortung bei ihrer Bekämpfung erinnerte, oder ein im Vorfeld an den Stadtrat gerichteten Apell von Fridays For Future Aschaffenburg, in dem sie den Rat um die Einrichtung des Managements baten.
 
Ausgerechnet beim Klimaschutz entdecken CSU, FW und SPD ihre sparsame Ader. Dass wir auf unsere Ausgaben achten müssen und die Finanzlage der Stadt nicht gerade rosig ist, betonen FDP und wir schon seit Jahren – womit wir jedoch meist auf taube Ohren stießen – jedoch kann man es wohl kaum als verantwortungsvolle Haushaltspolitik bezeichnen, ausgerechnet bei der wichtigsten politischen Aufgabe unserer Zeit den Rotstift anzusetzen.
Für CSU-Fraktionschef Grebner wäre die Schaffung eines Managements aber „bei unserer Haushaltslage wirklich überzogen“. Peter Lenhardt von den Freien Wählern meinte allen Ernstes, Alzenau sei in der Vergangenheit oft genug Vorreiter gewesen. Als erste Kommune im Landkreis ein Klimaschutzmanagement zu schaffen, könne man nun einmal anderen überlassen.
Trotz ihrer Ablehnung ist Jaenette Kaltenhauser von der FDP zugute zu halten, dass sie die Bedeutung eines Klimaschutzmanagements verstanden zu haben schien, da sie vorschlug, statt der Schaffung einer neuen Stelle eine andere dafür umzuschichten.
 
Alle Versuche, den Rat noch umzustimmen, blieben erfolglos, sodass das Klimaschutzmanagement schließlich neben unserer Zustimmung nur die von Hans-Dieter Herbert (dessen SPD das Klimaschutzmanagement 2015 noch selbst beantragt hatte) fand, alle anderen (CSU, JU, FW, FDP, restl. SPD) stimmten dagegen.
Es zeigt sich wieder einmal, dass wer Klimaschutz nicht nur im Wahlprogramm stehen haben möchte, grün wählen muss. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Ernsthaftigkeit der Klimakrise vielen noch nicht bewusst ist, bzw. dass sie aktiv verdrängt oder ignoriert wird. Zu mehr als aufgrund der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung, die hier offensichtlich schon weiter ist, notwendig ist, um nicht völlig tatenlos dazustehen, ist man nicht bereit.
 
Immerhin wurde die Fortschreibung des Klimaschutzkonzepts von allen Fraktionen gemeinsam auf den Weg gebracht. Wir werden sehr genau darauf achten, dass diesmal Strukturen geschaffen werden, dass die Umsetzung nicht erneut im Sand verläuft. Die beste Möglichkeit, die Schaffung des Managements, kommt bei nächstbester Gelegenheit erneut auf den Tisch. Denn die Klimakrise duldet keinen Aufschub dieser Fragen.