Floating-PV als Pionierprojekt in Alzenau, FDP jetzt mit 100% Frauenquote und emotionale Debatte um die Wellpappe

Die erste Sitzung im Jahr 2022 drehte sich unter anderem um das emotionale Thema der Zukunft der Wellpappe in Alzenau, den Wechsel in der FDP-Fraktion und die Möglichkeit der Errichtung einer Floating-PV-Anlage auf dem Hörsteiner See. Mehr dazu im 

Bericht aus der Stadtratssitzung am 27.01.2022
 

An der ersten Stadtratssitzung im neuen Jahr nahmen wir als grüne Fraktion nur zum Teil im Saal teil. Wegen Covid 19-Risikokontakten im Vorfeld der Sitzung waren unsere Stadträt*innen Angie Hadler und Tim Höfler gezwungen, die Sitzung vom heimischem PC aus zu verfolgen. Da der Stadtrat aber gerade erst in seiner letzten Sitzung die aufgrund der Pandemie übergangsweise ermöglichte hybride Sitzungsteilnahme in seiner Geschäftsordnung verstetigt hatte, hatten die beiden zwar mitunter mit den Tücken der Tontechnik im Saal zu kämpfen, mussten aber jedenfalls bzgl. Teilnahme- und Abstimmungsrechten keine Einschränkungen hinnehmen.
 
Bericht des Bürgermeisters
Dem Bericht des Bürgermeisters war zu entnehmen, dass Alzenau nun offiziell in die „Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen“ aufgenommen wurde. Außerdem wurde die Stadt als Host Town für die Special Olympics 2023 in Berlin auserkoren, darf also im Vorfeld der Sportveranstaltung eine Delegation von internationalen Sportler*innen beherbergen. Bürgermeister Noll wurde davon selbst etwas überrascht, ein aus Alzenau stammendes Mitglied der Auswahlkommission wollte seiner Heimatstadt etwas Gutes tun. Unsere Stadträtin Sabina Prittwitz war als Behindertenbeauftragte des Stadtrates bereits im Vorfeld vom Bürgermeister informiert worden und begrüßt es im Namen des Stadtrats und auch unserer Fraktion sehr, dass Alzenau die Gelegenheit bekommt, seinen Beitrag zu diesem der Inklusion und Völkerverständigung dienenden Sportevent zu leisten.
Neuigkeiten gab es auch zum Ausbau der Staatstraße 2305. Das staatliche Bauamt habe die Anregungen des Staatrates zur Kenntnis genommen und versucht, sie soweit als möglich in die Pläne einfließen zu lassen. Eine weitere Öffentlichkeitsbeteiligung sei ab Februar zu erwarten.
 
Bürger*innenfragestunde: Wellpappe beherrschendes Thema
Die Möglichkeit, in der Sitzung Fragen an den Bürgermeister und den Rat zu stellen, wurde diesmal ausführlich genutzt. Im Wesentlichen waren dies Wortmeldungen von Betriebsräten, bzw. Beschäftigten der Wellpappe. Sie äußerten sich zu dem seit einigen Jahren schwelenden Streit zwischen der Stadt Alzenau und der Palm-Gruppe, Inhaberhin des Alzenauer Wellpappen-Werks, der sich aus einem Grundstückstauschvertrag zwischen den beiden Parteien erschlossen habe. Aufgrund des – vom Landgericht Aschaffenburg als rechtmäßig festgestellten – Rücktritts der Stadt Alzenau von dem Tauschvertrag steht der geplante Neubau des Wellpappenwerks im Industriegebiet Nord und damit der Verbleib der Firma in Alzenau auf dem Spiel.
Bernd Lämmermaier, Betriebsratsvorsitzender des Alzenauer Werks, warf dem Bürgermeister und dem Stadtrat vor, es würden Arbeitsplätze und das städtebauliche Entwicklungspotential des Noch-Standorts der Wellpappenfabrik gefährdet. Er sah den Geschäftsführer des Konzerns, Wolfgang Palm, von der Stadt Alzenau ungerecht behandelt. Dieser Ansicht war auch Betriebsrat Timo Kerber, der sich bereits seit längerem auch bilateral für den Verbleib seiner Firma in Alzenau engagiert. Aus seiner Sicht würde Wolfgang Palm von der Stadt unrechtmäßig als der Alleinschuldige dargestellt, der den Neubau seines Werkes im Industriegebiet und damit den Vollzug des Vertrages immer wieder verzögert habe. Dabei sei es im Verlauf der letzten zehn Jahre auch auf Betreiben der Stadt Alzenau zu Verschiebungen der Erfüllung der jeweils geschuldeten Leistungen kommen.
Bürgermeister Noll bestätigte, dass man sich in der Vergangenheit auch mehrfach einvernehmlich auf eine Verschiebung der jeweiligen Fristen geeinigt habe. Der Rücktritt beruhe aber auf der Nichteinhaltung der letzten Frist. Die hat auch das Landgericht Aschaffenburg in seinem Urteil festgestellt. Bzgl. des Verschuldens der beiden Parteien an dem Zwist habe er eine andere Auffassung als die Betriebsräte. Aus seiner Sicht würde Palm sich gegenüber den Betriebsräten anders äußern, als er dies in Verhandlungen mit der Stadt Alzenau tue. Man sei natürlich bestrebt eine Lösung zum Erhalt der Arbeitsplätze und zum Verbleib des Traditionswerkes in Alzenau zu finden. Dies werde aber nicht um jeden Preis geschehen.
Äußerungen eines weiteren Fragestellers, ohne die Großzügigkeit Wolfgang Palms hätte es die Gartenschau in Alzenau nie gegeben und mit dem Wegzug würden Alzenau große Summen Einkommens- und Gewerbesteuer entgehen, sowie die Arbeitslosigkeit steigen, wies Noll als Spekulationen zurück. Der Stadtrat achte bei der dann alternativen Vergabe des Industriegrundstücks natürlich auf die Ansiedlung von Firmen, die Arbeitsplätze und Steuereinnahmen nach Alzenau bringen. Im Übrigen wären viel Alzenauer*innen überrascht, wenn sie die dem Steuergeheimnis unterliegenden tatsächlichen Steuerzahlungen der Wellpappe kennten, so der Bürgermeister.
 
Zuletzt regte Michaela Thoben in der Fragestunde an, aufgrund der rasant steigenden, insbesondere für junge Menschen kaum noch leistbare Immobilienpreise in Alzenau einen Mietspiegel einzuführen und auch bei den Vorgaben für Bauvorhaben auf Konzeptionen zu achten, die auch den Möglichkeiten von Menschen mit schmalem Geldbeutel gerecht werden.
Bürgermeister Noll versprach, diese aus grüner Sicht sehr sinnvollen Anregungen mitzunehmen und dem Stadtrat zur Beratung vorzulegen.
 
Stefka Huelz-Träger folgt auf Rolf Ringert – FDP mit 100% Frauenquote
Bereits in der letzten Sitzung vor Weihnachten hatte Rolf Ringert, seit 37 Jahren Mitglied des Stadtrats und Ehrenbürger der Stadt, angekündigt, zur nächsten Sitzung sein Mandat aus Altersgründen niederzulegen. So nahm er an diesem Donnerstag zum letzten Mal Platz in den Reihen des Gremiums und wurde von Bürgermeister Noll mit anerkennenden Worten für seine Lebensleistung gewürdigt. Eine Auszeichnung habe er, Noll, an diesem Abend nicht für Ringert. Schlichtweg weil es aufgrund dessen umfangreicher Leistungen für die Stadt Alzenau keine mehr gebe, die er noch nicht erhalten habe. Die Anwesenden bedachten Ringert dafür mit stehenden Ovationen.
Sodann folgte die Nachbesetzung seines Mandats durch FDP-Kollegin Stefka Huelz-Träger, deren Nachrücken durch den Stadtrat festgestellt wurde. Schließlich wurde sie vereidigt.
Als grüne Fraktion sprechen auch wir unseren Dank und Anerkennung für die Leistungen Rolf Ringerts aus, begrüßen Stefka Huelz-Träger im Stadtrat und freuen uns auf die Zusammenarbeit. Auch wenn wir unseren Titel als Fraktion mit dem höchsten Frauenanteil nun an die FDP abgeben müssen, deren mit 2/2 nun 100% beträgt, tun wir dies gerne, da wir so gemeinsam dem Ziel von mindestens paritätischer Repräsentation von Frauen ein Stück näherkommen. Der Frauenanteil im Rat beträgt mit 9/24 nun knapp 37%.
 
 Neue Photovoltaikanlagen für Alzenau – Pionierprojekt Floating-PV
TOP 7 drehte sich um Klimaschutzmaßnahmen für Alzenau, nämlich die Errichtung zweier neuer Photovoltaik-Anlagen für Alzenau. Einerseits auf der Birkenhainer Halle in Albstadt, deren Errichtung einstimmig beschlossen wurde. Unsere Fraktionsvorsitzende Claudia Neumann, begrüßte, dass diese bereits vor vielen Jahren durch unseren damaligen Stadtrat Stephan Schmauder vorgeschlagene Anlage nun endlich realisiert wird.
Zum Zweiten ging es um ein Projekt, das in Deutschland Pioniercharakter hätte. Auf dem Hörsteiner See, ein an der südwestlichen Stadtgrenze nahe der Autobahn gelegener Baggersee und größter See Unterfrankens, soll die Errichtung einer Floating-PV-Anlage, also eine schwimmende Photovoltaik-Anlage, geprüft werden. Diese Anlagen seien laut Umwelabteilungs-Chef Handlbichler in Deutschland zwar bislang sehr wenig erprobt, in anderen Ländern habe man damit aber bereits gute Erfahrungen gemacht. Die Kühlung der Anlage durch die Wasseroberfläche sorge für einen besonders hohen Ertrag. Mit der angedachten Anlage auf dem See könne man alle Alzenauer Privathaushalte mit Strom versorgen. Der Standort zwischen Industriegebiet und Autobahn von Bäumen umgeben auf dem Hörsteiner See eigne sich auch deshalb hervorragend, weil das Landschaftsbild dadurch nicht beeinträchtig wird.
 
Diese Auffassung vertrat auch die CSU-Fraktion, wie ihr Sprecher Georg Grebner erläuterte. Freiflächen- und Agrophotovoltaik komme für die CSU kaum in Betracht, weil man landwirtschaftliche Flächen nicht unbrauchbar machen wolle und auch das Landschaftsbild ebenso beeinträchtigt sehe, wie das bei der Windkraft der Fall sei. Da es diese Nachteile bei der Floating-PV aber nicht gebe, stimme die CSU dem zu.
 
Auch wenn wir als GRÜNE die Zustimmung der CSU hierzu begrüßen, müssen wir doch darauf hinweisen, dass insbesondere die Äußerungen zur Agrophotoltaik nur auf Unkenntnis zu dem Thema beruhen können. Die Konzepte für solche Anlagen sehen bereits eine nur geringfügige Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen Nutzbarkeit vor, wie man auch den zur Sitzung beigefügten Unterlagen hätte entnehmen können, und könnten zugleich durch Beschattung und Hagelschutz sogar bestimmte Vorteile für manche Pflanzen bieten. Auf landwirtschaftlich weniger ertragreichen Flächen können Freiflächen-Photovoltaikanlagen ebenfalls naturverträglich sein und in besonderer Weise der Biodiversität dienen. Ein Pilotprojekt in diese Richtung wäre deshalb auch in Alzenau sehr begrüßenswert. Ebenso kann die geringfügige Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch Windräder nicht ansatzweise den immensen Nutzen dieser Anlagen für die Energiewende aufwiegen.
Die Planung der Floating-PV-Anlage begrüßt unsere Fraktion mit großer Mehrheit, weil vier von fünf unserer Stadträt*innen der Auffassung sind, dass eine Anlage, die einen derart großen Beitrag zur Klimaneutralität Alzenaus leisten könnte, jedenfalls genauer Erörterung bedarf und ihre Realisierung sehr erfreulich wäre.
Für Claudia Neumann überwiegen die naturschutztechnischen Bedenken, die im Vorfeld auch vom Landesbund für Vogelschutz geäußert wurden. Der Hörsteiner See ist nachweislich Rückzugsort für zahlreiche geschützte und bedrohte Vogelarten. Auch wenn die Anlage nur ein Viertel der Seeoberfläche einnähme und nicht die Uferbereiche beeinträchtigen würde, sei die zu befürchtende Beeinträchtigung der Fauna zu groß. Auch merkte Claudia an, dass bei Floating-PV-Anlagen noch nicht ausreichend erforscht ist, wie sie sich auf die Beschaffenheit des jeweiligen Gewässers auswirken. Sie konnte den Planungen deshalb nicht zustimmen und möchte zahlreiche andere Projekte, die aus unserer Sicht zur Erhöhung des PV-Anteils realisiert werden könnten, prioritär behandelt sehen.
Claudias Hinweis darauf, dass der grüne Vorschlag zur verpflichtenden Errichtung von PV-Anlagen auf privaten Neubauten abgelehnt wurde, führte zu einem Disput mit Bürgermeister Noll, der ihr diesbezüglich Falschaussagen vorwarf. Man habe sich doch darauf geeinigt, dies in neuen Bebauungsplänen aufzunehmen. Dies konnte durch Tim Höfler jedoch gleich widerlegt werde, indem er aus dem entsprechenden Stadtratsprotokoll zitierte, in dem der Beschluss lautet auf eine derartige Verpflichtung komplett zu verzichten.
 
Bedenken zum Floating-PV wurden auch aus der FDP-Fraktion geäußert. Stefka Huelz-Träger wies darauf hin, dass alle bisher in Deutschland gebauten Anlagen nicht ansatzweise die Dimension der für den Hörsteiner See vorgeschlagenen Anlage aufweisen, was von Bernd Handlbichler mit dem Hinweis bestätigt wurde, dass die bisherige Flächenbeschränkung auf das EEG zurückzuführen war. Dennoch befürworte man die Planung und Erörterung. Auch die anderen Fraktionen sahen deutliche Vorteile bei der Anlage, insbesondere die Leistungsfähigkeit.
Und so wurde der Vorschlag der Verwaltung mit einer Gegenstimme von Claudia Neumann auf den Weg gebracht.
 
Sonstiges
Bei den übrigen Tagesordnungspunkten im öffentlichen Teil handelte es sich um schnell abzuhandelnde Formalia. Der Stadtrat kam dem Wunsch der Feuerwehr Alzenau nach, einen zweiten stellvertretenden Kommandanten wählen zu dürfen. Angesichts der Größe der Wehr eine sinnvolle Maßnahme. Außerdem wurden wegen einer Preissteigerung bei den Lebensmitteln aufgrund der Ausweitung des Angebots regionaler und Bio-Produkte die Essensentgelte für die Kitas angepasst und der bayerische kommunale Prüfungsverband mit der Prüfung der Jahresabschlüsse der Stadtwerke beauftragt.