Emotionale Debatte zur Staatsstraße, sowie: Augenmaß bei den Feuerwehren erforderlich

Den Ausbau der St2305 halten wir für verkehrsplanerisch verfehlt. Da das staatliche Bauamt hier aber nur Vorschriften anwendet, hoffen wir auf ein Umdenken in der Verkehrspolitik. Außerdem begrüßen wir eine mögliche Fusion der Feuerwehren Kälberau und Michelbach. Die Interessen der Feuerwehrler*innen dürfen dabei aber auf keinen Fall übergangen werden, es darf nichts überstürzt werden. Dies und mehr im Bericht aus der Stadtratssitzung am 20.05.2021
 

Ausbau Staatsstraße 2305
Beherrschendes Thema der Maisitzung, die erneut in der Räuschberghalle stattfand, war der geplante Ausbau der Staatstraße 2305. Einem einstündigen Bericht des staatlichen Bauamts folgte eine nochmal ebenso lange, emotional geführte Debatte über das Thema.
 
Vorstellung der Pläne durch das staatliche Bauamt
Herr Schwab und Herr Müller vom staatlichen Bauamt Aschaffenburg, erläuterten zunächst den Verlauf der in den 1970ern begonnenen und immer wieder überarbeiteten Planungen und die Bedeutung der St2305 für den überörtlichen Verkehr. Die Verkehrsbelastung liegt zur Zeit deutlich über dem Durchschnitt bayerischer Staatstraßen, ist aber rückläufig. Auch der Kahltalradweg, der mit ausgebaut werden soll, war bei der letzten Erhebung mit 600 Radler*innen pro Tag gut ausgelastet.
Die Notwendigkeit der Baumaßnahme begründeten die beiden mit dem schlechten Zustand und der nicht mehr den Richtlinien entsprechenden Bauweise, die die hohe Zahl an Unfällen im fließenden Verkehr zur Folge habe. Auch sei die Straßenentwässerung mangelhaft.
 
Aus diesem Grund ist eine Erneuerung der Straße notwendig. Der geplante Ausbau nach den geltenden Richtlinien schließt eine neue Trassenführung ein, die wesentlich weiter in das Kahltal hineinragt, als bisher. Außerdem soll straßenbegleitend ein neuer Radweg gebaut werden.
 
Mehrheit ist dafür
Bürgermeister Noll erklärte seine Zustimmung zu dem Projekt. Auch der Verkehr mit umweltfreundlichen Antrieben in Zukunft benötige verkehrssichere Straßen. Ähnlich positionierte sich die CSU-Fraktion. Ihr Vorsitzender Georg Grebner erklärte, er habe selbst einen Unfallgeschädigten von dieser Strecke in der Familie. Der verkehrssichere Ausbau sei dringend nötig. Ihm gefalle auch der breite dazu angelegte Radweg.
Im Interesse der möglicherweise von Umleitungen betroffenen Anwohner*innen in Hörstein und Albstadt sei der CSU eine möglichst kurze Bauzeit sehr wichtig. Auch SPD, FDP und Freie Wähler schlossen sich dem an. SPD-Fraktionschefin Christ-Dahm meinte, anfängliche Zweifel seien durch die detaillierte Vorstellung der Planungen ausgeräumt worden.
 
Stadträt*innen melden sich zu Wort
Grundsätzlich anders sehen wir GRÜNE diese Angelegenheit. Uns ist bewusst, dass das staatliche Bauamt nur nach den gegebenen Richtlinien und Vorgaben handelt. Diese entstammen aber einer Verkehrspolitik, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht wird.
So legte unsere Fraktionsvorsitzende Claudia Neumann noch einmal die Nachteile dar, welche der Bau in dieser Dimension mit sich bringt. So gehen durch den Streckenverlauf durchs Kahltal einerseits einzigarte Natur und andererseits wertvolle landwirtschaftliche Flächen verloren, die so nicht ersetzt werden können. Mehrere Populationen einer europaweit nach Flora-Fauna-Habitatrichtlinie streng geschützten Schmetterlingsart, dem hellen und dunklen Wiesenkopf-Ameisenbläuling, wäre dadurch gefährdet. Eine Umsiedelung gelingt nur in Ausnahmefällen.
Claudia kritisierte auch, dass der Ausbau gemäß den Richtlinien zu einer Erhöhung der Höchstgeschwindigkeiten führt, was – so zeigen es viele Studien – immer zu einer Verkehrszunahme führt. Dadurch würde die Belastung insbesondere für die Einwohner*innen Niedersteinbachs enorm steigen. Zum Vergleich, dass ein Ausbau zu weniger Unfällen führt, hatten Schwab und Müller einen Streckenabschnitt zwischen Blankenbach und Schöllkrippen angeführt, der vor einigen Jahren ausgebaut worden war. Auch dies kritisierte Claudia, da die Verkehrsbelastung auf diesem Abschnitt eine gänzlich andere ist, als auf dem zwischen Michelbach und Niedersteinbach. Bzgl. der Menge des Verkehrs sei doch viel eher die Strecke zwischen A45 und Michelbach vergleichbar. Unsere Stadträtin Sabina Prittwitz merkte diesbezüglich an, dass auf eben diesem Streckenabschnitt trotz Vollausbau nach wie vor zahlreiche Unfälle passieren. Eine abschließende Erklärung konnte das Bauamt dazu auch nicht liefern. Herr Müller vermutete, dies hänge mit der linearen Streckenführung zusammen, die es an dieser Stelle für überholende Fahrzeugführer*innen erschwere, die Geschwindigkeit des Gegenverkehrs richtig einzuschätzen. Gänzlich könne man Unfälle aber unabhängig von der Streckenführung ohnehin nie verhindern. Auf die Frage unseres Stadtrats Tim Höfler, ob die prognostizierte Abnahme des Verkehrs auf der Strecke in den nächsten Jahren in die Planungen mit einbezogen worden sei, bekam er von Herrn Schwab zur Antwort, die Zahl der Fahrzeuge habe ohnehin keinen Einfluss auf die Breite und damit auf die Streckenführung.
 
Trotz Zustimmung der SPD kritisierte deren Stadtrat Hans-Dieter Herbert die Führung des Radweges. Direkt an der Staatstraße zu fahren, sei für Radfahrer*innen nicht attraktiv. Er wünsche sich einen Radweg weiter weg von der Straße und näher an der Kahl. Dies sei aber nicht möglich, man dürfe nicht zu nah an Flüssen bauen und andere Optionen seien zu aufwändig, bekam er zur Antwort. Jonas Müller von der JU wollte wissen, ob die neue Streckenführung durch weniger Bremsmanöver zu weniger Reifenabrieb und Kraftstoffverbrauch führe. Das konnte Herr Schwab jedoch nicht beantworten. Unbeantwortet blieb auch die Frage nach den Kosten des Projekts von Claudia Neumann. Noch seien nicht alle Teilmaßnahmen abschließend miteinbezogen.
 
Emotionale Wortmeldung eines Betroffenen
Emotional wurde es zum Ende des Tagesordnungspunkts. Severin Simon, einer der betroffenen Landwirte, meldete sich zu Wort. Seine Familie wohne seit etwa 1700 auf den Dörsthöfen, er würde das gerne auch zukünftig tun. Der Streckenverlauf zerstöre aber die wertvollsten Flächen für seinen Obstanbau. Zugleich würde der neue Streckenverlauf dazu führen, dass die Gäste der Restaurants in den Dörsthöfen von Terrasse und Biergarten nicht mehr auf’s Kahltal sondern auf die vielbefahrene Straße blicken würde. Unabhängig davon, ob die gesetzlich zugelassene Lärmbelastung eingehalten werde, würde dies die Attraktivität der Gastronomie an dieser Stelle erheblich schmälern. Der Ausbau bedrohe damit seine Existenz.
Die Antwort von Herrn Schwab lautete, dies seien Partikularinteressen – wobei Sabina richtigerweise anmerkte, dass regionale Landwirtschaft auch im Interesse der Allgemeinheit liegt –, die Simon im Planfeststellungsverfahren wie gesetzlich vorgesehen anbringen könne. Am Ende droht ihm aber nichtsdestotrotz eine Enteignung.
 
Unsere Position
Alles in allem sprechen wir uns klar gegen den Neubau dieser Straße aus. Ohne Zweifel ist die Vermeidung von Unfällen ein wichtiges Anliegen. Dies muss hier gegen den Erhalt von lokaler Landwirtschaft und wichtigen Naturräumen abgewogen werden. Wir sind überzeugt, dass sich Verkehrssicherheit auch mit erheblich geringeren Eingriffen in Natur und Landschaft herstellen lässt. Eine leichte Verbreiterung der bestehenden Straße und eine konsequent durchgesetzte Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h (wo nötig, weniger) könnte dies möglicherweise ebenfalls erreichen.
Eine Verbreiterung und Erhöhung der Maximalgeschwindigkeit auf 100 km/h würde – so zeigen es alle Untersuchungen – zu einer Zunahme des Verkehrs führen, jedenfalls relativ zu der Entwicklung ohne massiven Ausbau. Im Jahr 2021 ist das auch klimapolitisch nicht vertretbar. Zumal in Frage steht, inwieweit die Erhöhung der Geschwindigkeit, den Sicherheitsvorteil durch die Verbreiterung wieder wett macht – siehe Unfälle auf dem sehr breiten Streckenabschnitt A45 – Michelbach.
Nimmt man dann noch die Existenzvernichtung lokaler Landwirte dazu, ist der Ausbau in dieser Form aus unserer Sicht nicht zu rechtfertigen.
 
Uns ist selbstverständlich klar, dass dem staatlichen Bauamt hier kein Vorwurf gemacht werden kann. Sie wenden – und das hat Herr Schwab schön herausgestellt – lediglich die bestehenden Gesetze an. Und die schreiben auf Landstraßen zur Zeit eine Regelgeschwindigkeit von 100 km/h vor, was, wenn man ausbaut (eine Verpflichtung gibt es nicht), einen Ausbau in dieser Dimension nötig macht.
Gerade deshalb ist es aber gut, dass sich bereits massiver Widerstand gegen das aus der Zeit gefallene Projekt regt. Eine Bürgerinitiative ist bereits aktiv, eine Petition läuft (Stand 21.05.2021: 1647 Unterschriften). Es braucht endlich ein Umdenken in der Verkehrspolitik, sodass statt auf überdimensionierte Straßenbauten auf weniger eingriffsintensive Maßnahmen und eine entschlossene Stärkung der Schiene gesetzt wird. Deshalb sollte die Stadt Alzenau auch ihre Zustimmung zu dem Projekt verweigern. Die Entscheidung dazu wird im Stadtrat voraussichtlich im Juli oder August fallen.
 
Projektgruppe für mögliche Fusion der Feuerwehren Michelbach und Kälberau
 
Aufgrund der sehr ausführlich geführten Debatte zum Straßenneubau wurde der TOP 3 erst um 21:35 Uhr aufgerufen. Es ging darum eine Projektgruppe zu gründen, die die Bedingungen einer möglichen Fusion der Feuerwehren Kälberau und Michelbach ausloten soll. Vorstellbar wäre eine solche Fusion am Standort der Feuerwehr Michelbach. Hierzu bedürfte es allerdings eines Ausbaus des dortigen Gerätehauses. Außerdem muss geklärt werden, was für die beiden Feuerwehren, insbesondere die Kälberauer Wehr, die ihren jetzigen Standort aufgeben müsste, Voraussetzung für eine Entscheidung zur Fusion ist.
Unser Stadtrat Tim Höfler, selbst aktiv in der Feuerwehr Kälberau, wies auch weil im Main Echo ein anderer Eindruck entstanden ist, noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass die Entscheidung noch nicht gefallen ist. Am Ende liegt diese bei der gesamten Mannschaft, beide Wehren können sich unabhängig von den Wünschen des Bürgermeisters und des Stadtrats noch gegen die Fusion und für den Verbleib am alten Standort entscheiden. Die Stadt wäre dann sogar gesetzlich dazu verpflichtet, dies zu respektieren.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es extrem wichtig, dass die Gespräche auf Augenhöhe geführt werden. Auch wir GRÜNE halten eine Fusion aus feuerwehrtechnischer Sicht für sinnvoll. Priorität muss aber haben, dass die Wünsche und Bedürfnisse der Feuerwehren und ihrer Mannschaft berücksichtigt werden. Im Falle einer Zusammenlegung muss insbesondere die Fortexistenz des Kälberauer Feuerwehrvereins mit seiner großen Bedeutung für den Stadtteil gesichert sein. 
Dass nun gemeinsam konkrete Gespräche geführt werden, betonte Tim, ist deshalb aber auf jeden Fall richtig.
 
Er übernimmt auch den Platz in der Projektgruppe, Vertreterin wird Claudia Neumann. Für die CSU ist Otto Grünewald (vertreten durch Frank Deckert) Mitglied, für die SPD Hans-Dieter Herbert (Wolfgang Röder), für die Freien Wähler Timo Ritter (Ralph Ritter), für die FDP Jaenette Kaltenhauser (Rolf Ringert) und für die JU zwangsläufig als ihr einziger Stadtrat Jonas Müller.
 
 
TOP 4, 5 & 6 eher formal
Zu den nachfolgenden Tagesordnungspunkten gab es keinen großen Diskussionsbedarf. Die Erneuerung der Gebührenordnung der Stadtbibliothek, die Kenntnisnahme des Jahresabschlusses der städtischen Wohnungsbaugesellschaft und der Austausch der veralteten Fenster im Rathaus wurde jeweils einstimmig, bzw. beinahe einstimmig beschlossen.
 
Fördermittel für eine belebte Innenstadt
 
Der letzte TOP des öffentlichen Teils drehte sich um vom Freistaat in Aussicht gestellte Fördermittel zur Belebung von Innenstädten. Projekte in diesem Rahmen können 80% Förderung erhalten. Der Stadtrat hatte deshalb zu entscheiden für welche Projekte und in welcher Höhe ein Förderbedarf angemeldet werden soll. Angedacht sind von Seiten der Stadt bereits mehrere selbstreinigende öffentliche Toiletten.
 
CSU-Stadträtin Martina Stickler, selbst Inhaberin eines Modegeschäfts, betonte, wie wichtig es ist, dass nun kreative Ideen zur Innenstadtbelebung insbesondere nach der Corona-Krise angegangen werden. Ihre Fraktionskollegin Laura Schön schlug konkret vor im Rahmen der Renaturierung des Neuwiesenbachs den Bereich an der Kahl von dessen Einmündung zur Straße aufzuwerten. Jonas Müller (JU) schlug vor, eine Calisthenics-Anlage, also eine Sportanlage für Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, im Energiepark zu bauen. Von Ralph Ritter (FW) kam der Vorschlag, den Bachlauf im Bereich der Entengasse an die Oberfläche zu holen. Von SPDlerin Anni Christ-Dahm gab es Zustimmung zu den Toiletten, die Sozialdemokrat*innen wünschten sich außerdem noch Projekte explizit für Kinder.
Dem stimmte auch unsere Fraktionschefin Claudia Neumann zu. Bei den Toiletten ist aber darauf zu achten, betonte sie, dass es ökologische sind. Es gibt da allerdings durchaus praktikable Möglichkeiten, zu denen wir auch noch Vorschläge machen werden.
Sabina drängte schließlich noch darauf, im Rahmen einer Innenstadtaufwertung an Sitzgelegenheiten und schattenspendende Bäume zu denken.
 
Die Entscheidung zur Anmeldung dieser Projekte fiel mit großer Mehrheit gegen eine Stimme von Stephan Schmauder.