Landwirtschaft und Ernährung

Landwirtschaft ist nicht irgendeine Wirtschaft und nicht irgendein Bereich. Landwirtschaft ist die Grund­lage unseres Lebens; denn Landwirtschaft bedeutet Ernährung. Die Böden müssen zur Siche­rung der Ernährung langfristig produktiv bleiben. Und die Existenz der Höfe muss gesichert sein, die Landwirt*innen und Winzer*innen müssen von ihrem Land leben können.

Gleichzeitig produzieren die gegenwärtige Landwirtschaft und Ernährung einen erheblichen Anteil der Treibhausgasemissionen. Und die industrielle Landwirtschaft mit ihren Pestiziden und Düngemitteln ist – das ist wissenschaftlicher Konsens – der Hauptverursacher des Artenschwundes – dazu kommen Versiegelung, Zerschneidung der Landschaft durch Straßen, leblose Gärten und  Lichtverschmutzung. Das bedeutet nicht, die Landwirt*innen zum „Buhmann“ zu machen; aber es bedeutet: Landwirtschaft ist ein wesentlicher Ansatzpunkt für die Eindämmung des Klimawandels und der Hauptansatzpunkt für gelingenden Artenschutz.

Gleichzeitig: Klimaschutz schützt Bauernhöfe, Naturschutz schützt Bauernhöfe. Denn Klimawandel und Artenschwund treffen die Landwirtschaft zuerst. Die Landwirt*innen sind mehr als alle anderen auf ein einigermaßen stabiles Ökosystem mit gesundem Boden und vorhandenen Bestäubern angewiesen.

Klima- und artenschonende Landwirtschaft ist also notwendig – und auch möglich:

  • Der Klimaschutz verlangt vor allem: Humusaufbau (die entscheidende CO2-Senke ist der Boden; Humusbildung ist daher ein entscheidendes Instrument zur Abschwächung der Erderwärmung); keinen (oder wenig) Mineraldünger (sehr klimaschädlich, weil Herstellung enorm viel Energie verschlingt, gleichzeitig Humusaufbau verhindernd); keine oder wenig Pflanzenschutzmittel (ebenfalls energieintensive Herstellung), deutlich geringeren Tierbestand.
  • Der Artenschutz verlangt Strukturvielfalt (Hecken, Ackerrandstreifen, Weinbergmauern, Streuobstwiesen, Bäche; kleinräumige Strukturen, Hecken, Bäume im Acker, sind für den Erhalt der Artenvielfalt so wichtig wie die Biolandwirtschaft!), möglichst wenig unmittelbare Schädigung der Insekten durch Pestizide, Verzicht auf Totalherbizide. Das schließt keine produktive Landwirtschaft aus. Denn Nährstoff- und humusreiche Böden, die Wasser speichern können, sind auch für produktive Landwirtschaft lebenswichtig (wenn ihr Fehlen auch durch Düngergaben lange zu überspielen ist). Strukturvielfalt ist für fruchtbare Böden wichtig, weil sie gegen Erosion und gegen austrocknende Winde wirkt.

Diese Erfordernisse erfüllt nur der bäuerliche ökologische Landbau. Denn er ist langfristig tragfähig und verantwortungsvoll. Nur er arbeitet ohne chemische Düngemittel (verursachen Klimawandel und Artenschwund) und Pestizide (verursachen Artenschwund). Er ist eine „besonders ressourcen­schonende, umweltverträgliche und nachhaltige Wirtschaftsform“, sagt das Landwirtschafts­ministerium. Nur er baut schon von seinen Grundlagen her auf die dringend erforderliche Humus­bildung. Ökolandbau dient dem Gemeinwohl, denn er verringert den Verlust der Artenvielfalt, schont das Grundwasser und stößt weniger CO2 aus als der konventionelle.

Deshalb gibt es feststehende Zielquoten für den Ökolandbau:

  • Deutschlandweit sollen bis 2030 mindestens 20 % der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch bewirtschaftet werden,
  • Bayernweit sollen es bereits bis 2025 mindestens 20 % sein und bis 2030 mindestens 30 % (Art.1a S.2 BayNatSchG). Der bayerische Staat bewirtschaftet bereits ab 2020 100 % seiner Flächen als Ökoflächen (Art.1a S.3 BayNatSchG).

 

Tatsächlich beträgt der Anteil des Ökolandbaus an der landwirtschaftlich bewirtschafteten Fläche in Bayern 2019 erst 11 %. Im Kreis Aschaffenburg lag die Quote bereits 2017 immerhin schon bei 13,6 %, sie müsste jetzt noch höher liegen; in Alzenau sieht es deutlich schlechter aus: es gibt bisher nur zwei zertifizierte Biobetriebe (von denen einer demnächst aufhört) und einen in Umstellung befindlichen (Weinbau)Betrieb. Das ist viel zu wenig! So ist das gesetzliche Ziel nicht zu erreichen.

Aber auch jenseits von öko gibt es gute Ansätze: Es gibt Zwischenfruchtanbau. Es gibt seltenere Mahd der Wegränder, stehengelassene Säume, liegengelassenen Baumschnitt, gewollte Unordnung. Eine „saubere“ Landschaft, eine „Sagrotanlandschaft“ kann nicht lebendig sein. Das muss auch  Spaziergängern und Verpächtern klar sein.

 

Die meist rein grünen Wiesen in Alzenau sind ein Zeichen für Überdüngung (und Monokultur) – nicht für gesunde Natur. Artenreiche Wiesen sind bunt. Es ist inzwischen erwiesen, dass Vielfalt die Stabilität und Widerstandskraft eines Ökosystems, aber auch den Zuwachs, massiv stärkt. Auch insofern ist das Motto der Stadt Alzenau „Vielfalt erleben“ zu verändern in „Vielfalt schaffen“. Hier also einmal: Weg von „grün“ zu bunt.

  • Das ist im Michelbacher Weinberg schon teilweise geschehen: es wachsen wieder mehr Wildkräuter, es ist bunter geworden, es blüht. Die allermeisten Rebzeilen sind begrünt (nur wenige schwemmen bei Gewitterregen noch aus). Glyphosat wird nur noch von einigen ange­wendet. Es gibt wieder vereinzelt Schmetterlinge. Das ist positiv.
  • Die als Kulturdenkmal unter Schutz stehenden – noch vorhandenen(!) – Trockensteinmauern und die Steinhalden (seit kurzem geschützte Landschaftbestandteile) im Michelbacher Apostelgarten erschweren die maschinelle Bearbeitung, aber sie machen die Schönheit dieser Lage aus, und sie sind vor allem Lebensraum für Insekten und Amphibien und ein wirksamer Erosionsschutz. Aber: Ihre Reparatur ist arbeitsintensiv und erfordert Know-how. Sie stehen einer maschinellen Bewirtschaftung im Wege. Warum nicht Schulprojekte/VHS-Kurse gründen, die sich der uralten Handwerkskunst des Trockensteinmauerbaus und ganz praktisch der Restaurierung der Mauern widmen – und dadurch für die hiesige alte Weinbaukultur (und die Lese?) begeistern. Man kann nicht kleinteilige und daher handarbeitsintensive Landwirtschaft wollen und die Landwirt*innen/Winzer*innen dann mit den Problemen alleine lassen.
  • Die Weinberghäuschen mit Dach gehören zum traditionellen Bild des Weinbergs dazu. Sie sind aus landwirtschaftlicher Sicht aber heute nicht mehr erforderlich und verfallen daher teilweise. Eine neue außenbereichsgerechte Nutzung der Weinberghäuschen (z.B. als Hühnerstall, als Unterschlupf für Fledermäuse) würde ihre Instandsetzung und -haltung sinnvoll machen. Auch hier ist ein Projekt mit Winzern und Interessierten denkbar.
  • Ackerblühstreifen sind für Wildbienen und andere Insekten sinnvoll mit ökologisch wertvollen Wildblumenmischungen. Aber nur dann, wenn in der Nähe Nisthabitate (Feldsäume, Böschungen) zu finden sind. Wegen der Standorttreue der Wildbienen müssen sie langfristig in die Agrarlandschaft integriert werden.
  • Die Stadt Alzenau besitzt 10 ha Streuobstwiesen, es bestehen Pachtverträge mit Landwirt*innen. Sinnvoll wäre die Pachtauflage, die Mahd nur mit tierschonendem Balkenmäher durch­zuführen (der bisher genutzte Kreiselmäher vernichtet 95 % der vorhandenen Wiesenfauna; ersterer existiert aber bisher nicht im Maschinenring).

 

Ebenso wesentlich wie die Frage bio oder konventionell ist die Kleinräumigkeit, die nur die bäuerliche Landwirtschaft bieten kann: der eine mäht heute, die andere in einer Woche, die Schnitttechniken sind verschieden, die Aussaaten auch – das schafft die dringend benötigte Vielfalt, die Rückzugs­möglichkeiten für die Tierwelt. Insofern ist die Situation in Alzenau mit seiner vielfach noch vorhandenen kleinräumig strukturierten Agrarlandschaft, die unbedingt zu erhalten, teils auch wiederherzustellen ist, relativ gut. Agrarsteppe mit Großinvestoren gibt es bei uns nicht. Innovative nachhaltige Agrarkonzepte wie Agroforst, Weidemanagement und Permakultur sollen unterstützt werden.

Das Ziel muss also sein: Lokale Landwirtschaft, möglichst ökologisch und unbedingt bäuerlich.

 

Landwirtschaftliche Flächen erhalten

In Alzenau sind aktuell noch 25,6 % der Stadtfläche landwirtschaftliche Fläche (Acker, Grünland und Weinberg). Diese – vergleichsweise geringe – Fläche muss unbedingt erhalten bleiben. Ohne ausreichende Fläche keine lokale Versorgung. Also keine Ausweisung neuer Baugebiete auf Kosten von landwirtschaftlichen Betrieben. Die Übergabe eines Hofs an die nächste Generation, an den oder die Junglandwirt*in liegt in unser aller Interesse. Der Aufgabe von Betrieben ist soweit möglich entgegenzuwirken.

Lokale Versorgung, kurze Handelswege

Wir brauchen Landwirtschaft, von der man leben kann. Wir brauchen aufgeklärte Landwirt*innen, die nicht einfach im mainstream mitschwimmen, die es stattdessen besser machen wollen. Wir brauchen aufgeklärte Verbraucher*innen, die sich für die Lebensmittel interessieren, die verstehen, warum lokal und bio gut ist und dass auch Landwirt*innen gut leben können müssen. Von ihren Produkten. Wir brauchen eine Wertschätzung der Landwirt*innen und ihrer Produkte. Es darf uns nicht egal sein, woher Apfel und Kartoffel kommen. Ein Schwarzer-Peter-Spiel hilft niemandem, gemeinsam muss der Strukturwandel in der Landwirtschaft geschafft werden. Profitieren werden alle.

Es ist nicht der Naturschutz, der die Landwirt*innen zum Aufgeben drängt, sondern es sind die dauerhaft schlechten Preise für ihre Produkte, die vor allem an dem enormen Machtgefälle zwischen Handel und Bäuerinnen und Bauern liegen, an der Orientierung am internationalen Markt.

Hier könnten wir in Alzenau, wie in vielen anderen Städten auch, ansetzen mit der Bildung eines Ernährungsrats, der die lokale Versorgungsökonomie in den Mittelpunkt rückt. Gute Ansätze, Einzelinitiativen, auch Vernetzungen für regionale Vermarktung gibt es ja bereits. Ein Ernährungsrat könnte Plattform für eine starke Kooperation mit den bäuerlichen Betrieben vor Ort sein, für mehr Wissen/Verständnis zwischen Landwirt*in und Verbraucher*in, mehr kurze Handelswege und Direkt­vermarktung (die häufig auskömmlicheres Wirtschaften bedeutet). Vielleicht gibt es Interesse an einer Solidarischen Landwirtschaft für Alzenau. Die Nachfrage nach Bioprodukten aus lokaler Produktion – von Schulen, Kindergärten und Einzelnen könnte angeregt werden. Eine starke lokale Nachfrage ist die Grundlage von allem. Aufklärung: Warum der Einkauf bei der Landwirtschaft vor Ort statt bei den Ketten mit ihren Weltmarktprodukten wichtig ist.

Eine Wertschätzung von Landwirtschaft erfolgt nicht durch Reden sondern durch Kauf ihrer Produkte. Darum: Umstellung der gemeinschaftlichen Verpflegung in kommunalen oder Bezirkseinrichtungen (Schulen, Kindergärten, Krankenhaus, Seniorenheim) auf regionale ökologische Verköstigung. Und: Warum nicht auch Plattform für Hilfe bei der Weinernte bei „unseren“ Winzer*innen? Das wäre unsere Agrarwende im Kleinen, eine Agrarwende im Sinne der Bäuerinnen und Bauern und der Gesellschaft.

Vor allem Streuobstwiesen sind bei uns landschaftsprägend. Das erfolgreiche Streuobstprojekt  „Schlaraffenburger“ sorgt für ihre Pflege und Erhaltung. Das ist auch für den Naturschutz wesentlich, denn in der Kulturlandschaft ermöglicht nur die angepasste Nutzung Artenvielfalt. Von Alzenauer Streuobstwiesen kommt der klimafreundlichste Apfelsaft – keine Transportkosten, kaum Produktions­kosten.

Auch der Alzenauer Wochenmarkt hat mit seinen teils lokal/regionalen teils ökologisch produzierenden Anbietern eine Bedeutung, die nicht immer erkannt wird. Viele Kund*innen zeigen durch das Mitbringen eigener Dosen und Beutel beim Einkaufen schon ihren Einsatz für einen plastikfreien Markt. 

 

„Urban gardening“, Hausgärten und Schrebergärten

Ernährung muss nicht automatisch Einkauf bedeuten. Nahrung kann auch zuhause geschaffen werden: in Hausgärten, Schrebergärten, beim urban gardening. Die Warteliste für Schrebergärten in Alzenau ist lang. Wäre es nicht möglich, bisher unbebaute Grundstücke in Alzenau zeitweise für Gemüseanbau zu nutzen? Denn: Klimafreundlicher als aus dem eigenen Gemüsegarten geht es nicht, freier und günstiger auch nicht.

 

Schulgärten

Die Einrichtung und Unterhaltung von Schulgärten zeigt Kindern und Jugendlichen, wie Lebensmittel entstehen und bindet sie ein. Schulküchen gibt es inzwischen einige – ideal wäre die Beteiligung der Jugendlichen am täglichen Kochen. Unterricht im Kochen, mit lokal produzierten Lebensmitteln, heißt Wertschätzung von und Wissen über Lebensmitteln vermitteln – und unabhängig machen.

 

Konkrete Maßnahmen für Alzenau:
  • Erhaltung der landwirtschaftlichen Flächen
  • Einrichtung eines Ernährungsrats als Plattform der Kooperation von lokalen/regionalen Landwirt*innen, Lebensmittelhandwerk und Verbraucher*innen mit dem Ziel kurzer Handelswege und Direktvermarktung
  • Umstellung der gemeinschaftlichen Verpflegung auf regionale ökologische Verköstigung
  • Speisenangebot aus der Region bei offiziellen Anlässen, möglichst ökologisch, auch vegetarisch (geschieht bereits bei Apfelsaft und Wein)
  • „Öko“-Pachtauflagen bei allen kommunalen Flächen (Streuobstwiesen, Burgweinberg)

 

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