Alzenau – Immer schon Vorreiter im Klimaschutz?

Die Anfänge der Stadt Alzenau beim Umweltschutz waren durchaus vielversprechend. 1988: Aufbau der Umweltabteilung unter Bürgermeister Dr. Engel; Umweltberichte 1993 und 1998, Beginn des Projekts Solarstadt Alzenau: 1997; 1999 dann die Agenda Alzenau 21. Auch die Auszeichnungen für besondere Leistungen im Umweltschutz datieren aus dieser Zeit (1992 Bayerische Umweltmedaille, kurz danach eine weitere Auszeichnung für besondere Verdienste im Umweltschutz).

Doch seitdem? Es gab ‒ angestoßen unter Bürgermeister Scharwies ‒ das Klimaschutzkonzept von 2011. Ansonsten – fast – nichts. Weitere Umweltberichte wurden nicht erstellt, den im Klimaschutzkonzept enthaltenen Handlungsempfehlungen wurde – mit wenigen Ausnahmen (Straßenbeleuchtung, Sanierung einiger kommunaler Gebäude) – nicht gefolgt, die empfohlene Überprüfung von erreichten Zwischenständen und eine Fortführung des Konzepts haben nicht stattgefunden. Und das vor dem Hintergrund des erklärten Ziels der Bundesregierung, bis 2020 40 % der CO2-Emissionen einzusparen.

Die Einschätzung des Rathauses, Klimaschutz immer schon ausreichend zu berücksichtigen („Wir waren immer schon Vorreiter.“), ist daher eine drastische Fehleinschätzung, die Tatsachen sagen anderes.

Der dringend erforderliche Politikwechsel muss mit dieser Wahl stattfinden. Klimaschutz und Arten­schutz müssen der Imperativ kommunaler Politik werden. Letztes Jahr wurde ein Anlauf genommen. Aber unser Antrag, bei allen Entscheidungen die jeweiligen positiven und negativen Auswirkungen auf Erderwärmung und Artenvielfalt mit einzubeziehen, wurde im Herbst vom Stadtrat mehrheitlich abgelehnt. Es werde bereits und seit langem genug getan, hieß es. Diese Argumentation teilt man andernorts nicht: Münster, 1997 und 2006 Klimahauptstadt und 2018 Deutschlands nachhaltigste Großstadt, also eine Stadt, in der etwas geschieht, hat im Mai 2019 den Klimanotstand ausgerufen – mit den Stimmen von CDU, Grünen und SPD, gegen AfD und FDP.

Auch in Alzenau muss gelten: Nachhaltigkeit ist der Maßstab bei allen kommunalen Aktivitäten! Das bedeutet, auch die Stadt Alzenau muss bei allen Entscheidungen die Auswirkungen auf das Klima sowie die ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigen und prioritär behandeln, dabei den Schutz des Klimas und der Biodiversität gemeinsam denken. Ein Leitbild „Alzenau 2030“ ist zu erarbeiten. Alzenau 2030 – das heißt: wo wollen wir 2030 stehen?

 

Vorbilder

Was machbar ist, zeigen andere Kommunen, z.B. die Preisträgerinnen des Wettbewerbs „Deutschlands nachhaltigste Stadt“. In der für uns maßgebenden Kategorie „Kleinstadt“ ist das 2019 Bad Berleburg. Unsere große Nachbarin Aschaffenburg wurde 2019 Preisträger in der Kategorie „Städte mittlerer Größe“. Sie sollten wir uns als Vorbild nehmen. Es gibt Zusammenschlüsse von Kommunen, die sich gegenseitig unterstützen, sich gegenseitig anregen, sich austauschen; es gibt fahrrad­freund­liche Städte, es gibt das Klimabündnis und die Agenda 2030-Kommunen. Da sollte Alzenau mitmachen anstatt auf seine verblasste Vorreiterrolle zu verweisen. Miteinander ist nicht nur in der eigenen Gemeinde grundlegend sondern auch mit den Nachbargemeinden und anderen Gemeinden. Wir lernen von anderen Gemeinden. Denn sie sind weiter als wir.

 

 

Ziele

Wirksamer Klimaschutz steht nicht im Belieben der politischen Akteur*innen. Das Pariser Klimaabkommen mit seinen Zielsetzungen ist völkerrechtlich verbindlich. Das deutsche Klimaschutzgesetz, die Um­setzung der Ziele in deutsches Recht, bindet die staatlichen Instanzen und verlangt von ihnen Erfolge bei den Reduktionen. Die Ziele in dieser alles entscheidenden Klimaschutzdekade sind für 2030 Senkung der gesamten CO2-Emissionen um mindestens 55 % (unter den Wert von 1990, jetzt im Jahr 2020 stehen wir bei etwa 32 %, anvisiert waren 40%) – für 2040 um mindestens 70 % und für 2050 eine Reduktion auf nahezu Null (Klimaneutralität).

Die Handlungsziele sind also rechtlich verbindlich formuliert; festgeschrieben sind seit kurzem auch die konkreten Beiträge der Sektoren Energiewirtschaft, Gebäude, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und Sonstige. Der Löwenanteil fällt weiter auf die Energiewirtschaft, aber in allen Sektoren muss der Ausstoß massiv verringern werden, Nachholbedarf besteht insbesondere beim Verkehr und bei Gebäude, in denen es bisher keine Verringerung gab. All das gilt bundesweit, es gilt auch für Alzenau.

 

Ist-Zustand

Die bisher ergriffenen Maßnahmen waren und sind nicht ansatzweise ausreichend. Die Ergebnisse unserer bisherigen Lebensweise sind eindeutig, „weiter so“ geht nicht. Dabei hilft Aktionismus nicht. Aber jede*r Akteur*in muss auf der Grundlage langfristiger Strategien sofort und besonnen alles tun, was nachweislich hilft. Wer solchen Aktionen entgegenhält, sie seien „nicht zu verwirklichender Sofortismus“, muss sich die Frage stellen lassen, ob er die wissenschaftlichen Forderungen kennt. Denn es steht fest: Wenn wir einfach weiter­machen, werden sich die Lebensumstände so entwickeln, dass unsere Enkelkinder damit nicht gut leben können – von unseren Mitgeschöpfen Tier und Pflanze einmal ganz abgesehen. 

 
Kommunale Handlungsmöglichkeiten

Gerade die Kommunen sind entscheidende Akteur*innen beim Klimaschutz ‒ und bei der Klimaanpassung, das wurde bereits 1992 in Rio de Janeiro erkannt, daher die Agenda 21. In den USA, dem Land, das von einem Leugner des menschengemachten Klimawandels regiert wird, sind es die Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen einzelner Bundesstaaten, die klimapolitisch aktiv und erfolgreich sind. Auch einige Wissenschaftler*innen sehen eher die Kommunen als die schwerfälligen Nationalstaaten als Hoffnungsträger*innen und treibende Kräfte.

Den Klimawandel spürt man vor allem lokal – Hitze und Starkregenereignisse sind auch in Alzenau angekommen. Und Klimaanpassung kann man vor allem lokal betreiben: Schattierung vorantreiben, die Versickerung von Starkregen ermöglichen. Handeln ist auf allen Ebenen erforderlich, es geht nicht um ein „entweder oder“ sondern um ein „sowohl als auch “. Mit seiner lokalen Agenda muss auch das kleine Alzenau wie alle Kommunen globale Verantwortung übernehmen: think globally – act locally.

Die Handlungsmöglichkeiten der Kommune liegen insbesondere im Bauplanungsrecht, hier setzt sie den Rahmen, aber auch bei der Durchsetzung kommunalen Rechts und in den Fragen der Mittel­verwendung der Verwaltung. Die Kommune kann auch selbst umsetzen, z.B. bei Sanierung und Begrünung. Das bedeutet zwar oft tat­säch­lich nur einen geringfügig geringeren CO2-Ausstoß, hat aber darüber hinaus die Funktion, vorbildhaft zu zeigen, was machbar und wünschbar ist. Zudem kann die Kommune informieren, anregen, bera­ten, unterstützen und fördern. Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe, die nur gemeinsam geschultert werden kann. Die Stadt selbst kann viel tun und dadurch die Stimmung prägen. Nur wenn sie die Bürger*innen und ansässigen Unternehmen mitreißt, wird es gehen. Ohne unser aller Beiträge sind die Ziele nicht zu erreichen.

Wenn Klimaschutz, Klimaanpassung und Artenschutz so immense Bedeutung haben, muss das Um­welt­amt ein Schwergewicht in der Stadtverwaltung werden – als „Expert*innenrat“, als Initiator, als Begleiter für Bürger*innen und Gewerbetreibende. Für diese Aufgabe braucht es klare Unter­stützung.

 

Maßnahmen

Die Maßnahmen aus dem vorhandenen – trotz grüner Mahnungen bisher aber kaum umgesetzten – Alzenauer Klimaschutzkonzept von 2011 müssen aktualisiert und konsequent umgesetzt und durchgeführt werden. Dabei muss die Stadt die Bürger umfassend von Anfang an beteiligen und für transparente Prozesse sorgen. Konkret ist zu ermitteln, wo Alzenau bzgl. seiner Emissionen momen­tan steht, die Handlungsempfehlungen sind dem neuesten Stand der Technik anzupassen. Der CO2-Ausstoß der gesamten Stadt muss entsprechend den verbindlichen politischen Zielvorgaben gesenkt werden. Und die Fortschritte sind – genau wie auf Bundesebene ‒ auch hier einmal jährlich zu dokumentieren und der Öffentlichkeit vorzustellen.

 
Entscheidungen vor Ort

Klimaschutz wollen jetzt alle, behaupten sie. Bei den Entscheidungen vor Ort zeigt sich dann aber, ob tatsächlich geeignete Maßnahmen ergriffen werden, oder ob der Klimaschutz nur im Mund geführt und das Geld anderswo ausgegeben wird.

Das ist besonders wichtig für Alzenau, denn die Herausforderung in Alzenau wird sein, Klimaschutz und Klimaanpassung mit Sparsamkeit durchzusetzen. Denn Alzenau ist heute deutlich stärker ver­schuldet als andere Kommunen. Unser Wegweiser lautet: Weniger Event, dafür mehr Effekt. Sport­licher Wettstreit bei den Zielen, auf die es ankommt: Nachhaltigkeit, Einsparung, richtig verstandene Modernität. Eine Kultur nicht nur des Machens, sondern auch eine des Lassens.

Wirksamer Klimaschutz ist nicht nur Zielerreichung, er ist auch Ausdruck einer zukunfts­gewandten lebensfrohen modernen Weltsicht. Er ist das Gegenteil von Jammern, Resignation oder Zynismus.

 

Miteinander grüner und bunter – das ist unsere Vision für 2026

Miteinander ist das Gemeinsame, das Füreinander, ohne das wir uns eine sinnerfüllte Zukunft nicht vorstellen können.

Grüner im unmittelbaren Sinne von so viel Pflanzengrün wie möglich, und grüner im Sinne von ökologischer, zukunftsfähiger.

Bunter bedeutet vielfältiger – in jeder Hinsicht, denn Vielfalt steigert Schönheit, Überlebensfähigkeit und Widerstandsfähigkeit. Das gilt für Wiesen und Agrarkulturen, es gilt auch für Familien und die Gesellschaft. „Alzenau: Vielfalt erleben“, gerne, aber vielfach muss diese Vielfalt erst geschaffen werden.

Es ist notwendig, etwas zu verändern. Unerschrocken und gelassen. Und es gibt wünschenswerte Optionen. Wir sagen nicht, dass die erforderlichen Veränderungen nicht auch weh tun, aber wir sagen, dass sie sich lohnen. Nicht nur für die Verringerung der Erderwärmung, sondern auch für uns ganz persönlich. Wir müssen ver­ändern, damit das viele Gute in unserem Leben bleiben kann wie es ist. Worauf also noch warten?

 

Konkrete Maßnahmen für Alzenau:
  • Erarbeitung eines Leitbildes „Alzenau 2030“

  • Fortschreibung des Klimaschutzkonzepts von 2011

  • Zusammenarbeit mit anderen Kommunen in verschiedenen Bündnissen (Klima-Bündnis, Agenda 2030-Kommunen)

  • Umweltamt wird wegen der fundamentalen Querschnittsaufgabe Klimaschutz/Artenschutz und Klimaanpassung zum Schwergewicht in der Stadtverwaltung

 

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